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Kastration von Rüden PRO und CONTRA

(Vortrag Gesundheitstag 2016)

Kastration -chemische Kastration - Sterilisation

  • Man spricht von klinischer Kastration, wenn bei der OP beide Hoden entfernt werden.
  • Man spricht von chemischer Kastration, wenn ein sogenanntes Suprelorin-Implantat eingesetzt wird, was mittels Hormonabgabe, eine hormonelle Veränderung (Unterdrücken von Sexual-Hormonen) bewirkt und so eine temporäre Kastration herbeiführt.
  • Im Gegensatz dazu die Sterilisation, bei der Samenleiter durchtrennt und/oder verödet werden. Ein sterilisiertes Tier ist genauso sexuell aktiv wie vor dem Eingriff – es kann nur keine Nachkommen zeugen oder bekommen.
Der operative Eingriff
Soll man nun jeden Rüden gleich unters Messer legen? Auch wenn eine Kastration in Tierarztpraxen ein Routineeingriff ist, bleibt ein Restrisiko. Narkosezwischenfälle und Komplikationen während der Operation oder bei der Wundheilung sind zwar eher selten, aber möglich. Gerade bei Kleinhunden wie unseren Papillons/Phalènes und einigen Windhundrassen ist das Narkoserisiko etwas höher als bei anderen Rassen.
Die offensichtlichen Vorteile der Kastration
Die Vorteile einer Kastration sind offensichtlich: Ein Rüde ist nicht mehr zeugungsfähig und lässt sich von läufigen Hündinnen nicht mehr ablenken und wird wahrscheinlich weniger Hang zum streuen zeigen. Er wird wohl auch kein Futter mehr verschmähen, keine rastlose Dauertappelei zeigen und in Dauergesänge verfallen, wenn man ihm eine läufige Hündin in Riechweite setzt.
Auf der anderen Seite kann man mit einer Kastration bestimmten Krankheiten vorbeugen. Beim Rüden fällt das Risiko an Hodenkrebs zu erkranken auf null, auch die Gefahr an bestimmten Prostataleiden und Perianaltumore zu erkranken kann deutlich minimiert, aber nicht ausgeschlossen werden.
Nachteile der Kastration
Bei der Entscheidung zu einer Kastration sollte eine medizinische Notwendigkeit im Vordergrund stehen. Wenn diese nicht gegeben ist, sollte man unbedingt die biologische Entwicklung des Hundes berücksichtigen und sich eben auch alle Nachteile die eine Kastration mit sich bringt vor Augen führen.
Leider empfehlen oft Tierärzte und Hundetrainer zur Frühkastration. Nicht selten treten Welpenkäufer an mich und fragen um Rat. Ihr Hundetrainer habe ihnen empfohlen ihren Rüden im zarten Alter von 8-10 Monaten zu kastrieren. Oft kommen Argumente wie:
Er wird nicht immer und überall markieren, ruhiger und leichter zu handeln sein, weniger dominant auftreten, sich nicht beim Arbeiten ablenken lassen und nicht an Hodenkrebs erkranken. Es hört sich nach der ultimativen Lösung zu einem harmonischen, glücklichen Zusammenleben mit seinem Rüden an.

Auch wenn der eine oder andere erwünschte Effekt eintreten wird bzw. eintreten kann, wenn vielleicht auch nur teilweise, muss doch bei dieser Entscheidung  UNBEDINGT AUCH DAS CONTRA aufgezeigt werden.Man darf dabei auch nicht vergessen, dass die Pubertät ein SEHR wichtiger biologischer Prozess in der Reifung des Hundes darstellt. In die Entscheidung Kastration Ja oder Nein, sollte man auch den betreffenden Hundetyp mit einbeziehen. So benötigen z.B. großwüchsige Hunderassen viel länger für Ihre geistige und körperliche Entwicklung als Zwerg- oder Kleinhundrassen. Es gibt bestimmte Rassen die häufiger nach Kastration inkontinent (grosse schwere Hunderassen) werden als andere. Dies betrifft statistisch gesehen auch mehr Hündinnen als Rüden. Doch es gibt auch Rüden unserer Rasse die nach einer Kastration (auch chemischer) inkontinent wurden. Ob dies wirklich im direkten Zusammenhang steht mit der Kastration, kann ich natürlich nicht sagen. Es kann auch sein, dass eine medizinische Grunderkrankung wie z.B. Ureterektopie eine angeborenen Fehlbildung der Harnleiter vorliegt.

Laut Praxiserfahrung von Dr. med vet. Ralph Rückert aus Ulm, der einen sehr interessanten Artikel zu diesem Thema geschrieben hat (habe netterweise die Erlaubnis bekommen diesen für meinen Vortrag zu verwenden), stellt dieser z.B. auch eine Schilddrüsenunterfunktion fast ausschliesslich bei kastrierten Tieren fest. Laut Herrn Rückert gehörte er selber aber auch lange den Tierärzten an, deren Argumentation pro Kastration, auch auf 'mehr Vorteilen' beruhten. Doch Dr. Rückert schreibt weiter, dass dieses Vorgehen auf Studien aus den 70ger Jahren zurückgeht. Inzwischen hat sich vieles getan. Es gab zuerst einzelne neue Studien, die eben auch mehr Nachteile aufzeigten, die aber noch stark bezweifelt wurden. Heute hat sich die Datenlage aber so verdichtet, dass man diese nicht mehr ignorieren könne, so Rückert.  Das Hauptproblem was sich abzeichnet ist Krebs. Mit der Kastration wird zwar einerseits das Auftreten bestimmter Tumorarten verhindert oder minimiert, andererseits  aber steigt das Risiko für andere Krebsarten, und zwar so deutlich, dass das gesamte bisherige Kastrationskonzept in Frage gestellt wird.

Eine umfassende und bezüglich Fallzahlen sehr interessante Arbeit ist '"Evaluation of the risk and age of onset of cancer and behavioral disorders in gonadectomized Vizslas (Risiko und Erkrankungsbeginn von Krebs und Verhaltensstörungen bei kastrierten Vizslas)". Diese veröffentlichten Studie von Dr. med vet. Christine Zink greift auf die Daten von 2505 ungarischen Vorstehhunden (Magyar Vizsla) zurück.

Anhand dieser Studie muss man feststellen, dass kastrierte Tiere teilweise ein mehrfach erhöhtes Risiko aufwiesen, an bestimmten Krebsarten (Mastzelltumore, Milztumore, Lymphosarkom) zu erkranken, und das zu einem deutlich früheren Zeitpunkt als intakte Artgenossen. Andere Studien belegen, dass das Risiko für die Entwicklung von Knochenkrebs für kastrierte Hunde um das drei- bis vierfache erhöht ist und bösartige Prostatatumoren beim Rüden treten bei Kastraten nicht seltener, sondern eher häufiger auf! (Keller, Knaus)
Insgesamt wird die erhöhte Anfälligkeit für Tumorerkrankungen aktuell mit einer durch den Wegfall der Geschlechtshormone zusammenhängenden Beeinträchtigung des Immunsystems in Zusammenhang gebracht. Dafür spricht auch, dass bei kastrierten Hunden offenbar sogar eine höhere Infektanfälligkeit nachzuweisen ist.
Auch verschiedene orthopädische Probleme werden inzwischen mit der Kastration in Verbindung gebracht. Auf diese möchte ich aber nicht eingehen, denn dazu gibt es noch keine sicheren Studien mit genügend Fallbeispielen.

Medizinisch kein Problem, aber ein Schönheitsfehler der einiges an Mehraufwand für die Pflege ihres Lieblings birgt,  ist die mögliche Entwicklung eines Wollifells bei langhaarigen Rassen. Hierbei überwuchert plötzlich Unterwolle das seidige Deckhaar – das Fell wirkt fluffig und stumpf. Dieses 'Wollifell' tritt bei den meisten Kastraten auf und verleitet die Besitzer dieser Fluffyhunde gerne dazu, zur Schermaschine zu greifen um diesen Fellbergen Herr zu werde . Eine weitere wichtige Nebenwirkung ist sehr oft ein gesteigerter Appetit bei einem geringeren Kalorienverbrauch, aufgrund des Wegfallens von Geschlechtshormonen. Wenn der Hund gleich weitergefüttert wird, wie vor der Kastration, kann es schnell zur Fettleibigkeit kommen. Gegenwirken können Sie durch eine konsequent und vor allem lebensland reduzierte Fütterung und durch ausreichend Bewegung.

Der richtige Zeitpunkt
Bei der Frage um das geeignete Alter gibt es keine richtige Antwort, aber bestimmt eine falsche. Während die einen Studien zu einer frühen Kastration raten, da das Risiko für Inkontinenz, Prostataprobleme und Gewichtszunahmen geringer seien, belegen wiederum andere, genau das Gegenteil. Z.B. haben Frühkastraten erheblich mehr Probleme mit unschönen, unerwünschten Fellveränderungen, denn das eigentliche Erwachsenen-Haarkleid konnte sich nie entwickeln. Auch dieser Prozess ist hormonell bedingt und wird mit einer frühen Kastration unterbrochen. Generell sollte man einen Rüden bei Notwendigkeit (medizinische Gründe, dazu zähle ich auch einen übersteigerten Sexualtrieb) nach Möglichkeit nicht unter 2 Jahren kastrieren. Ich würde sogar 36 Monate sagen, da der Rüde oft erst dann wirklich körperlich und geistig vollends ausgereift ist. Zu frühes kastrieren kann zu dauerhaftem Welpen haften Verhalten führen , was für das erhoffte harmonische, glückliche Zusammenleben nicht gerade förderlich ist.
Kein Mittel gegen Verhaltensstörungen (grosses Anliegen)
Die Kastration ist kein Mittel, um Verhaltensstörungen zu beheben oder Erziehungsfehler zu korrigieren. Sexuell hyperaktive Rüden können durch eine Kastration von ihrer Unart „geheilt“ werden. Dies leider aber auch nicht immer zu 100%. Hier zeigt sich dann auch wieder,  dass die als sexuell hyperaktiv bezeichneten Rüden, eben keine solchen sind, sonder dass dieses unerwünschte Verhalten eine völlig andere Ursache hat. Rückgängig machen kann man hier aber nichts mehr, wenn der Hund erst einmal klinisch (OP) kastriert wurde. Wenn wirklich jemand von seinem Hundetrainer gesagt bekommt, kastriere deinen Rüden, damit du in der Erziehung vernünftig vorwärtskommst und man dessen Worten Glauben schenken mag oder einfach derart verunsichert ist, eine Kastration in Erwägung zu ziehen, versuchen Sie es mittels chemischer Kastration. Dies ist ein temporärer Zustand der wiederrufen werden kann. Mit dem Implantat kann man erst einmal sehen, ob sich wirklich etwas am Verhalten des Hundes in die gewünschte Richtung ändert. Wenn dieser Fall tatsächlich eintritt, was ich eher bezweifle, sollte man aber dann zur klinischen Kastration übergehen und nicht ein lebenlang hormonell behandeln. Hormone gegen Hormone einzusetzen, ist auf Dauer wohl auch nicht wirklich folgenlos für den Organismus

Noch ein Schlusswort von Dr. Rückert, ich zitiere:

Nachdem, wie schon erwähnt, momentan alles in Frage gestellt wird, was bisher galt, könnte man noch einige Punkte mehr aufführen, aber das bringt uns an dieser Stelle nicht weiter. Wenn wir den Grundsatz, niemals schaden zu wollen, ernst nehmen, ist es hier und jetzt Zeit für einen Kurswechsel. Wir können beim Hund nicht mehr guten Gewissens einfach so im Vorbeigehen kastrieren! Selbstverständlich wird es nach wie vor Hunde geben, die nach sorgfältigster Abwägung der individuellen Umstände trotzdem kastriert werden, da es  einfach keine andere Wahl gibt. Von solchen klaren Indikationen aber abgesehen werden wir in Zukunft mit Kastrationen in unserer Praxis noch zurückhaltender sein als wir es in den letzten Jahren sowieso schon waren.

An Alle die ihre Rüden bereits kastriert haben;
Bitte keine Panik, dazu gibt es absolut keinen Anlass. Wenn wir beispielsweise bei einer bestimmten Tumorart von einer Verdreifachung des Risikos sprechen, klingt das im ersten Moment wirklich übel. Wenn man sich aber klar macht, dass diese Tumorart an sich, nur eine Wahrscheinlichkeit von 1,5 Prozent hat, dann bedeuten die aus einer Verdreifachung des Risikos resultierenden 4,5 Prozent immer noch, dass ein ganz bestimmter Hund diesen Tumor zu 95,5 Prozent NICHT bekommen wird.